Warum ist Hörscreening bei Neugeborenen so wichtig?

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Unser Gehör umfasst mehr, als nur das Gesprochene zu verstehen. Von der Geburt an und im gesamten Säuglingsalter ist unser Gehörsinn eng mit der Sprachentwicklung verbunden. Sogar leichte bis moderate Hörschäden können kann zu Veränderungen im Gehirn führen1. Hörschäden bei Babys wurden auch schon als „Neuroentwicklungs-Notfall“ bezeichnet.2 Die evidenzbasierte Forschung unterstützt ein sehr kurzes kritisches Zeitfenster von sechs Monaten für das Erzielen der Vorteile einer frühzeitigen Erfahrung mit Sprache und Tönen. Kann ein Neugeborenes seine linguistische Umgebung nicht hören, trägt dies zu Verzögerungen der Sprachentwicklung und möglicherweise zu sozialen, kognitiven und bildungsbezogenen Schwierigkeiten bei, die sich auf das gesamte Leben auswirken können.

Ein signifikanter permanenter Hörschaden ist weltweit eine der häufigsten bei der Geburt vorliegenden Störungen und betrifft 2–3 von 1000 Neugeborenen2. Die Bedeutung der frühzeitigen Erkennung und Behandlung einer Hörstörung bei einem Neugeborenen wurde bereits umfassend erforscht. Bei einer verzögerten Diagnose und Behandlung von Hörschäden bei Neugeborenen kann es zu signifikanten Entwicklungsverzögerungen kommen. Universelles Neugeborenen-Hörscreening, kurz UNHS, ist ein grundlegendes Verfahren, um allen Neugeborenen die Gelegenheit einer präzisen und frühzeitigen Diagnose einer Hörbeeinträchtigung zu bieten. Gesundheitssysteme sollten Best Practices für die Durchführung von Neugeborenen-Hörscreenings mithilfe der präzisesten und effektivsten Technologie, die derzeit verfügbar ist, festlegen. 

 

Implementierung von Hörscreening-Protokollen: Wer und wann? 

Eine Hörbeeinträchtigung ist bei der Geburt nicht sichtbar und die Ursache für einen Hörschaden bei Neugeborenen ist oft nur schwer zu ermitteln. Die meisten Kinder mit einem angeborenen Hörfehler haben Eltern mit normalem Gehör und es liegen keine anderen gesundheitlichen Probleme oder Risikofaktoren für einen Hörschaden vor. Eine belgische Studie3 ergab, dass der Ursprung eines Hörschadens nur bei der Hälfte der per Hörscreening diagnostizierten Kinder ermittelt werden kann. Davon war der Hörschaden bei 60 % der Kinder angeboren, 19 % der Kinder litten unter einer Zytomegalievirus-Infektion. Andere häufige Faktoren für ein hohes Risiko eines Hörschadens waren u. a. vorzeitige Geburt, ototoxische Medikamente, Hyperbilirubinämie oder mit Hörschäden verbundene Syndrome wie das Waardenburg-Syndrom oder Neurofibromatose. 

Die hohe Prävalenz von angeborenen Hörschäden weist jedoch darauf hin, dass selbst ein scheinbar gesundes Baby ohne Risikofaktoren Hördefiziten gegenüber empfindlich sein kann. Daher sollte jedes Neugeborene, auch solche, die in jeder Hinsicht gesund zu sein scheinen, einem Neugeborenen-Hörscreening unterzogen werden. Darüber hinaus unterstützen die Forschungsergebnisse die Richtlinien zur Früherkennung und Intervention bei Hörschäden, engl. Early Hearing Detection and Intervention (EHDI) Guidelines4, die vorgeben, dass eine frühzeitige Intervention bei Hörschäden nicht später als im Alter von sechs Monaten eingeleitet wird. Daher wird ein frühzeitiges Screening bereits bei der Geburt dringend empfohlen. 

Weil universelles Neugeborenen-Hörscreening empfohlen wird und ein frühzeitiges Screening vorzuziehen ist, stellt sich nur noch die Frage, wie Säuglinge und Neugeborene für das Hörscreening priorisiert werden sollten. Timing ist wichtig: Erfolgt das Screening zu spät, kann das Diagnose- und Interventionsfenster verstreichen. Erfolgt es zu früh, besteht das Risiko ungenauerer Ergebnisse und höherer Überweisungsraten. Für gesunde Neugeborene auf der Vorsorgestation sollte das Screening innerhalb eines kurzen Zeitfensters erfolgen, vorzugsweise vor Entlassung des Neugeborenen aus der Klinik, aber auf jeden Fall, bevor das Kind einen Monat alt ist. Für Säuglinge auf der NICU sollten Screenings dann erfolgen, wenn das Kind stabil ist, den Inkubator verlassen konnte und gesund genug ist, um aus der Klinik entlassen zu werden. 

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Technologische Erwägungen für Neugeborenen-Hörscreener 

Wir haben aufgezeigt, dass eine frühzeitige Erkennung und Intervention bei Hörstörungen für optimale soziale, emotionale und entwicklungsbezogene Ergebnisse erforderlich ist. Der nächste Schritt besteht darin, dafür zu sorgen, dass alle Neugeborenen einem Hörscreening mithilfe schneller, präziser und minimal invasiver Screening-Technologie unterzogen werden. 

Technologie-Optionen für das Neugeborenen-Hörscreening5 umfassen evozierte otoakustische Emissionen (EOAE, oft auf OAE abgekürzt) oder Auditory Brainstem Response (ABR). Bei der OAE-Methode wird eine Sonde mit einem Miniaturmikrofon und -lautsprecher in den Hörkanal des Neugeborenen eingeführt, um Reaktionen der Cochlea im Innenohr zu stimulieren und zu messen. Beim ABR-Screening werden drei kleine Sensoren am Kopf des Säuglings angebracht, um die Gehirnwellen zu messen, die als Reaktion auf einen sanften Klick-Stimulus erfolgen.

ALGO 7i - Intelligent workflow hearing screening

Während sowohl OAE als auch ABR auf Hörbehinderungen prüfen, ist das ABR-Screening die einzige Screening-Methode, bei der die gesamte Hörbahn vom Ohr bis zum Gehirn getestet wird. Wir wollen die Unterschiede zwischen diesen beiden Technologien genauer betrachten. 

 

Otoakustische Emissionen

Otoakustische Emissionen (OAE) sind im Innenohr als Reaktion auf einen Tonstimulus erzeugte Töne. Über eine kleine Sonde mit Miniaturlautsprecher wird ein Ton abgespielt und ein Mikrofon in der Sonde misst die Emission (akustische Reaktion) von der Cochlea im Innenohr. Diese Emission wird dann mithilfe automatisierter Technologie als BESTANDEN oder ÜBERWEISEN bewertet. 

Die Vorteile von OAE-Screening bestehen darin, dass es schnell und kostengünstig durchgeführt werden kann. Das Screening dauert bei einem ruhigen, stillen Neugeborenen evtl. nur wenige Sekunden. OAE erfordert nur einen Einweg-Ohrstöpsel pro Screening, wodurch die durch Verbrauchsmaterialien entstehenden Kosten niedriger sind. 

Ein Hauptnachteil des OAE-Screenings besteht darin, dass eine höhere Zahl von Neugeborenen das Screening nicht bestehen. OAE ist Feuchtigkeit und Ohrenschmalz im Hörkanal des Säuglings gegenüber sehr anfällig. Bei am ersten oder zweiten Tag nach der Geburt durchgeführten OAE-Screenings ist eine Überweisung aufgrund des Zustands des Hörkanals des Säuglings wahrscheinlicher, wobei überhaupt kein Zusammenhang mit dem Gehör des Kindes bestehen kann. Diese falsch positiven Ergebnisse tragen zu unnötigen Sorgen bei den Eltern und zusätzlicher Belastung des Pflegepersonals bei, das weitere Screenings an einem höheren Anteil von Säuglingen als erwartet durchführen muss, der das erste Screening nicht bestanden hat. 

Der wahrscheinlich größte Nachteil des OAE-Screenings ist, dass dabei nur ein Teil der Hörbahn (bis zur Ebene der Cochlea im Innenohr) gescreent wird. Zwar hängen die meisten angeborenen Hörbeeinträchtigungen mit Problemen im Innenohr zusammen, doch werden 15 % oder mehr durch Probleme mit dem Hörnerv verursacht. Dies wird als Auditory Neuropathy Spectrum Disorder oder ANSD bezeichnet. Neugeborene mit Hördefiziten aufgrund einer Hörnerv-Abnormalität bestehen das OAE-Screening. Falsch negative Screening-Ergebnisse führen zu einer Verzögerung von Diagnose und Management.   

 

Automatisierte Reaktion des Stammhirns auf akustische Reize 

Im Gegensatz zum OAE-Screening dauert das Screening-Verfahren „Automatisierte Reaktion des Stammhirns auf akustische Reize“ (Automated Auditory Brainstem Response, AABR) einige Minuten. Der Säugling muss auf das Screening vorbereitet und die Reaktionen müssen gemessen werden. Dafür stellt AABR ein kompletteres Screening der gesamten Hörbahn dar. AABR-Screening wird an einem ruhigen und entspannten Säugling durchgeführt, vorzugsweise im Schlaf. Darüber hinaus verwenden die meisten AABR-Screening-Technologien Einweg-Sensoren und Ohrkoppler, wodurch die Kosten pro Screening für die Einrichtung höher sind, zumindest, wenn nur die Verbrauchsmaterialkosten berücksichtigt werden. 

ALGO 7i Clinically proven

Zu den Vorteilen von AABR zählen die Möglichkeit, Screenings bereits sechs Stunden nach der Geburt durchzuführen, eine niedrigere Überweisungsrate, weniger erneute Screenings, weniger Nachsorgebedarf und weniger Verängstigung der Eltern. Das bedeutet, dass ein geringerer Kostennachteil besteht, als man zunächst annehmen könnte, weil weniger Wiederholungs-Screenings erforderlich sind. Dies führt wiederum dazu, dass weniger Babys an Nachsorgeprogrammen teilnehmen oder die Klinik mit einem ambulanten Termin für das erneute Screening verlassen, wodurch die Wahrscheinlichkeit niedriger ist, dass Eltern einen Nachsorge-Screening-Termin verpassen, wenn von vornherein ein präzises und vollständiges Screening durchgeführt werden kann. 

Was zuguterletzt aber wohl am wichtigsten ist: AABR-Screening-Technologie weist eine höhere Empfindlichkeit (geringste Anzahl falsch negativer Ergebnisse) und höhere Spezifität (geringste Anzahl falsch positiver Ergebnisse)6 im Vergleich zum OAE-Screening auf. Beim AABR-Screening wird die gesamte Hörbahn untersucht und es können Säuglinge mit Hörbeeinträchtigungen in der Cochlea und am Hörnerv identifiziert werden.

 

AABR ist die empfohlene Technologie für das Neugeborenen-Hörscreening 

Aufgrund seiner Vorteile hinsichtlich Genauigkeit, Empfindlichkeit und Spezifität7 ist AABR-Hörscreening das bessere Werkzeug zum Screening auf Hördefizite bei Neugeborenen. Durch die Ergänzung herkömmlicher ABR-Verfahren um Automatisierung wurde die Technologie dramatisch verbessert. Dies ermöglicht einen einheitlicheren, vollständigeren und objektiveren Test, bei dem Verzerrungen und Interpretation durch den Screener eliminiert werden. AABR ist gegenüber Interferenzen durch Geräusche im Raum weniger anfällig und kann innerhalb von Stunden nach der Geburt durchgeführt werden, wobei gleichzeitig beide Ohren getestet werden können. Kurz gesagt ist AABR die beste verfügbare Technologie, wenn frühzeitig einsetzbare, präzise und bewährte Screening-Technologie erforderlich ist. 

Weitere Informationen zum automatisierten ABR-Screening und dessen Anwendung in Ihrer Praxis finden Sie in unseren Whitepaper, das zum Download bereitsteht. 

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Quellen:

1.    Heuser Hearing Institute (2019) Hearing Loss in Kids Can Affect Brain’s Sound Processing.
2.    Karen L. Anderson, PhD (2011) Brain Development & Hearing Loss
3.    
Luxon L.M (2014)  Hearing Loss.  Encyclopedia of the Neurological Sciences (Second Edition) 2014, Seiten 533-538.   
4.    Taylor J. A et al (2012) Hearing Screening.  Avery’s Diseases of the Newborn (Ninth Edition), Kapitel 26.  
5.    Early Hearing, Detection and Intervention Program:  A Program of the American Academy of Pediatrics. 
6.    Katarzyna E et al (2017) Universal newborn hearing screening: methods and results, obstacles, and benefits. Pediatr Res 81, 415–422 (2017). 
7.    Heidari S. et al (2015) The sensitivity and specificity of automated auditory brainstem response and otoacoustic emission in neonatal hearing screening: a systematic review. Aud Vest Res (2015);24(3):141-151.
8.    Sena-Yoshinaga T.A et al (2014) Neonatal hearing screening with automated auditory brainstem response: using different technologies Audiol., Commun. Res. vol.19 no.1 São Paulo Jan./März. 2014

 

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